BERLIN. Der Bundesverfassungsschutz warnt in seinem am Dienstag veröffentlichten Jahresbericht für 2021 vor einer „Delegitimierung des Staates“ jenseits von Rechts- und Linksextremismus. Im neuen gleichnamigen Phänomenbereich würden alle Akteure aufgeführt, die „demokratische Entscheidungsprozesse und Institutionen von Legislative, Exekutive und Judikative“ verächtlich machen oder dazu aufriefen, staatliche Anweisungen nicht zu befolgen.
Die Repräsentanten dieser Ideologie würden zwar nicht die Demokratie in Frage stellen, diese allerdings durch „ständige Agitation gegen und Verächtlichmachung von demokratisch legitimierten Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates und ihrer Entscheidungen“ gefährden, heißt es im Bericht.
Zahl der „Extremisten“ leicht gestiegen
Beispielhaft erwähnte das Bundesamt die „QuerdenkenBewegung“. Zwar sei diese sehr heterogen, einzelne Protagonisten riefen jedoch „im Zusammenhang mit Protestaktionen gegen Corona Schutzmaßnahmen sowie über soziale Medien mittelbar zum Umsturz der bestehenden politischen Ordnung auf“. Offen ließ der Verfassungsschutz, wie viele Personen er diesem Phänomenbereich zuordne.
Insgesamt lebten laut dem Inlandsgeheimdienst im vergangenen Jahr 146.540 Extremisten in Deutschland. 2020 lag diese Zahl noch bei 144.965. Davon entfallen auf den Linksextremismus 34.700, den Rechtsextremismus 33.900, den Ausländerextremismus 28.650 und den Islamismus 28.290 Personen. Der Reichsbürgerszene ordneten die Behörden 21.000 Anhänger zu.
„Hohes Radikalisierungsniveau“ beim Linksextremismus
Die extremistisch motivierten Straftaten gingen dagegen zurück. Beim Linksextremismus von 6.632 auf 6.142 und beim Rechtsextremismus von 22.357 auf 20.201. Bei letzterem dominieren die sogenannten Propagandadelikte. Die meisten Gewalttaten gingen im vergangenen Jahr von Linksextremisten aus (987), es folgen Rechtsextremisten (945), extremistische Ausländer (116) und religiös motivierte Straftäter (49).
Beim Linksextremismus sieht der Verfassungsschutz ein „hohes Radikalisierungsniveau“. Besonders Polizei, vermeintliche Rechtsextremisten und Wirtschaftsunternehmen stünden im Visier. „Linksextremistische Angriffe werden zielgerichteter und professioneller, die Opfer sind zunehmend auch auf einer persönlichen Ebene betroffen“, warnte die Behörde. Insbesondere bei den Klimaprotesten versuchten Linksextreme Einfluß auf Debatten zu nehmen.
Sorge bereitet den Verfassungsschützern, daß radikale Linksextremisten „Kontakte in Verwaltungsstrukturen“ hätten, um so an Daten mißliebiger Personen zu gelangen. Die Internetseite „Indymedia“ wird erstmals als eindeutig verfassungsfeinldich benannt. Sie habe die Nachfolge der verbotenen Plattform „Indymedia.Linksunten“ eingenommen.
AfD wird nur kurz erwähnt
Als Schwerpunkte bei der rechtsextremen Szene seien die versuchte Instrumentalisierung von Corona-Protesten sowie der Fluthilfe hinzugekommen. „Bei Wahlen spielen rechtsextremistische Parteien derzeit keine Rolle. Ihre Funktion beschränkt sich auf eine Strukturierungs und Mobilisierungsfunktion für das rechtsextremistische Spektrum.“
Die AfD als Ganzes taucht dagegen nicht im Bericht auf, wird allerdings als Opfer linksextremer Gewalt genannt. Lediglich der „Flügel“ und die „Junge Alternative“ werden kurz erwähnt. Ihre geschätzte Mitgliederzahl wird jedoch im Phänomenbereich Rechtsextremismus dem Punkt „Sonstiges rechtsextremistisches Personenpotential in Parteien“ zugerechnet. Die Partei führt seit Jahren einen Rechtsstreit gegen das Bundesamt, mußte dabei zuletzt allerdings einige Niederlagen einstecken. Verboten wurde dem Verfassungsschutz dagegen, zu behaupten, der Flügel habe 7.000 Mitglieder.
Faeser: Rechtsextremismus größtes Problem
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, „die größte extremistische Bedrohung für unsere Demokratie“ sei weiterhin „der Rechtsextremismus“. Ihr Aktionsplan sehe deswegen folgendes vor: „Radikalisierungen stoppen, rechtsextreme Netzwerke zerschlagen und Extremisten konsequent die Waffen entziehen.“ Auch beim Linksextremismus gebe es ein „hohes Radikalisierungsniveau“. Beim Islamismus blieben die Sicherheitsbehörden „weiterhin wachsam“.
Bundesverfassungsschutzchef Thomas Haldenwang kündigte an, die zunehmende „Desinformation“ durch „Richtigstellungen und Aufklärung zu neutralisieren“. Dies sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. (ho)